Interview mit Tabea Schöll

«Vor zwei Wochen probte ich mit den Nachwuchs-Knaben „Stille Nacht“. Da die meisten noch nicht wirklich lesen können, zeichne ich alle Lieder als Comic auf. Als wir mit der Probensequenz fertig waren, blieben sie andächtig vor den Bildern stehen und meinten, sie wollten das ganze Lied noch einmal singen. Gibt es etwas Schöneres?»

Tabea Schöll, Können Sie uns ein wenig über Ihre musikalische Herkunft erzählen?
Zusammen mit fünf Geschwistern bin ich in Romanshorn am Bodensee aufgewachsen. Alle von uns Kindern durften ein Instrument spielen. Ich begann mit 5 Jahren mit der Geige, und bald kam dann das Klavier dazu. Dank meiner Mutter habe nie damit aufgehört, obwohl das Üben nicht immer nur einfach war. Daneben sang ich im Kinder- und Jugendchor der Kirchgemeinde und spielte in Orchesterprojekten mit.

Warum haben Sie sich für das Kirchenmusikstudium entschieden?
Das hat sich irgendwie einfach ergeben. Mit der Zeit entwickelte ich als Jugendliche eine Vorliebe für das Klavier, habe die Geige nach 15 Jahren Unterricht „an den Nagel gehängt“ und wechselte als Zweitinstrument zur Orgel. Ich hatte lieber Tasten unter den Händen.
Nach Abschluss der Primarlehrer-Ausbildung „probierte“ ich die Aufnahmeprüfung mit der Orgel nach nur zwei Jahren Unterricht. Das hat geklappt. Da man in Zürich damals Orgel nur in Kombination mit Klavier oder Chorleitung studieren durfte, nahm ich das Klavier dazu. Nach dem Klavierlehrdiplom studierte ich dann noch Chorleitung.
Rückblickend bin ich sehr dankbar, dass ich all das so lernen und studieren konnte. Denn heute brauche ich alles – die Erfahrungen als Geigerin, den pädagogischen Rucksack als Primarlehrerin und das Fachwissen und Können der drei Musikstudien.

Was ist Ihre Aufgabe in der Luzerner Kantorei?
Ich bin seit diesem Sommer für die Nachwuchschöre der Kantorei zuständig. Da singen Kinder zwischen dem Kindergartenalter und der 3.Klasse mit. Da Corona in der Nachwuchsarbeit leider sehr starke Spuren hinterlassen hat, bin ich dran, diese Chorstufen wieder aufzubauen.
So haben wir für das kommende Schuljahr unter anderem ein grosses Schulprojekt laciert, „das singende Schulzimmer“. Wir laden Schulklassen ein, einen vorgegebenen Liederkanon einzustudieren und diesen dann mit Chören der Kantorei an einem grossen Schlusskonzert Ende Mai zusammen aufzuführen. Dabei bieten wir den Lehrpersonen nebst pfannenfertigem Unterrichtsmaterial auch einen einführenden Singnachmittag und Unterstützung beim Einstudieren in der Klasse an. Die Nachfrage ist viel grösser als erwartet, was uns natürlich ausserordentlich freut!

Wie viele Kinder und Jugendliche singen in der Kantorei mit?
Momentan singen etwa 140 Kinder und Jugendliche in den 9 verschiedenen Chören der Luzerner Kantorei. Eberhard Rex, der künstlerische Leiter leitet die Chöre ab der Konzertstufe, und ich bin für die Nachwuchs-Chöre da.

Singen die Kinder gerne in der Kirche?
Mit den Nachwuchschören der Kantorei habe ich bisher noch nicht in einem gottesdienstlichen Rahmen gesungen. Aber aus meinen Erfahrungen mit den Kinderchören meiner vorangehenden Stellen weiss ich, dass es für die Kinder keine grosse Rolle spielt, wo und was sie singen. Wenn die Chorleitung überzeugt und begeistert ist von dem, was sie vermittelt, dann singen die Kinder alles ebenfalls begeistert mit. Ich habe aber schon erlebt, dass Kinder aufgrund der Einstellung ihrer Eltern nicht mitsingen durften, weil wir in einem Gottesdienst gesungen haben.

Nennen Sie die 5 schönsten Chorwerke.
Nur fünf? Zum Glück habe ich da viel mehr! :) Eigentlich hat jedes Chorstück das Potential, zum Schönsten zu werden, wenn die Ausführenden vollständig in der Musik drin sind und der Rahmen stimmig ist. So erlebte ich im Sommerlager, wie Eberhard Rex mit dem Kammerchor die Bach-Mottete „Lobet den Herrn, alle Heiden“ sang. Die Kraft und die Intensität, welche diese Jugendlichen beim Singen ausstrahlten, waren einmalig.
Oder vor zwei Wochen probte ich mit den Nachwuchs-Knaben „Stille Nacht“. Da die meisten noch nicht wirklich lesen können, zeichne ich alle Lieder als Comic auf. Als wir mit der Probensequenz fertig waren, blieben sie andächtig vor den Bildern stehen und meinten, sie wollten das ganze Lied noch einmal singen. Gibt es etwas Schöneres?
Bei meinem letzten Generationen-Sing-Wochenende in Frauenfeld sangen alle zusammen, von der 5-Jährigen bis hin zum 80-Jährigen, gemeinsam die Choralmotette „Verleih uns Frieden“ von Mendelssohn. Obwohl die künstlerische Qualität vielleicht nicht top war, war es die berührendste Aufführung dieser Motette, die ich je erlebt habe.

Nennen sie die 5 schönsten Orchesterwerke.
Die Orchesterwerke haben alle ein grosses Problem… es fehlt ihnen einfach der Chorpart!  Bei schöner Orchestermusik denke ich wirklich oft, dass man noch eine Singstimme dazu schreiben müsste. Denn die Schönheit der Musik möchte ich weitergeben. Und durch die Singstimme könnte ich diese Werke mit Kindern musizieren, und sie könnten dieses Werk selber erleben. Die Stimme haben eben alle als Instrument immer dabei – daher eignet sich das Singen so hervorragend für die Vermittlung von Musik aller Stile und Zeiten.

Haben Sie einen Wunsch an den Kirchenmusikverband des Kantons Luzern?
Es wäre schön, wenn sich die Kinder- und Jugendchöre innerhalb des Kantonalverbandes noch mehr vernetzen und zusammentun könnten, um gute und prägende Gemeinschaftserlebnisse zu erfahren. Eine Möglichkeit dazu könnte „pueri cantores“ bieten. Dies ist ein weltweiter Verband der Kinder- und Jugendchöre.

Herzlichen Dank, Tabea Schöll, für das Interview und für Ihr Engagement für die Nachwuchs-Chöre.

Tabea Schöll - Leiterin der Nachwuchs-Chöre

Tabea Schöll studierte nach dem Primarlehrerpatent Klavier, Orgel und Chorleitung an der Zürcher Hochschule der Künste. An ihrer Kantorenstelle in Frauenfeld baute sie ein breitgefächertes Singangebot auf, vom Eltern-Kind-Singen bis hin zum Seniorensingen. Dabei investierte sie viel Herzblut in die Aufbauarbeit der Kinderchöre und des Jugendchores. Nebst jährlichen Musicallagern führte sie immer wieder erfolgreich grosse Projekte zusammen mit dem Kirchenchor und Orchestern durch, um die Kinder und Jugendlichen an die Welt der klassischen Chorliteratur heranzuführen.

Nach 10-jähriger Tätigkeit in Frauenfeld übernahm sie in Winterthur Töss die Kantorenstelle der Reformierten Kirchgemeinde mit 6 Chören. Aufgrund des Umzugs der Familie in die Zentralschweiz – Tabea Schöll ist verheiratet und hat drei Kinder - gab sie das Kantorat in Winterthur nach kurzem, intensivem Engagement auf, um sich in der Zentralschweiz beruflich zu verwurzeln.

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